IN KALIFORNIEN STARTETE DIE CRAFT-BEER-BEWEGUNG BEREITS MITTE DER 60ER JAHRE. NUN IST DIE WELLE NACH DEUTSCHLAND, DEM LAND DER BIERE, GESCHWAPPT. SIND DIE NEUEN BRAUER TATSÄCHLICH DIE RETTER DES GESCHMACKS?
Am Anfang war der schreckliche Geschmack
Wann es begann, weiß keiner mehr so genau. Vielleicht in den späten 60er Jahren, Mitte der 70er oder Anfang der 80er. Nur der Grund, der fällt allen ein: Das Bier schmeckte schrecklich. Brauereigiganten wie Coors und Anheuser-Busch dominierten den Markt mit geschmacklich normierten Bieren. Mitte der 1980er Jahre gab es für die 230 Millionen Einwohner der USA 89 Brauereien. In Deutschland waren es zur selben Zeit etwa 1.600. Zu diesem Zeitpunkt nahm eine Gegenbewegung Fahrt auf, die heute in aller Munde ist. Ihr Name: Craft Beer.
Die Gegenbewegung braut in der Garage
Der Wiederaufstieg des Bierbrauens begann in Garagen. Und auch wenn Uneinigkeit über den genauen Beginn herrscht, so steht der Initiator fest: Fritz Maytag. 1965 brachte er unter dem Label Anchor Brewing Company eine Handvoll Biere auf den Markt.
Craft Beer der ersten Generation
Wenig später flutete die erste Craft-Beer-Welle Kalifornien. Im Rest der Welt interessierte das keinen. Was kein Wunder ist, schließlich war die Entstehung von Craft Beer in Amerika die Reaktion auf einen Notstand – den es so in Deutschland nie gab. Warum also schwappte die Welle über den großen Teich? Vielleicht weil auch in Deutschland, dem Land der Biere, viele Sorten gleich schmecken. Dennoch gibt es hier keinen Mangel an gutem Bier. Das weiß jeder nach einem Trip nach Franken. Dort gibt es genau das, was heute mit Craft Beer assoziiert wird: großartige Biere, die alle anders schmecken.
Darauf ein Einheitsbier
Craft Beer funktioniert in Deutschland nur in großen Städten. Dort gibt es Einheitsbier wie Kölsch und Holsten, Berliner Kindl und DAB. Aber vor allem gibt es eine Nachfrage nach „Ursprünglichkeit“ in Form von Biofleisch und Brotbackkursen – weil die Natur dort nichts ist, was man aus dem Fenster sehen könnte. Craft Beer passt einfach in die Zeit. Eigentlich aber gibt es in Deutschland keinen Bedarf – schließlich kann man fränkisches Bier überall kaufen. Aber Craft Beer ist im Trend, weil es so gut in die Zeit passt.
Mehr Produkt, weniger Marketing
Seit Konsumenten verstärkt darauf achten, woraus ihre Lebensmittel eigentlich gemacht sind, wächst das Nischenprodukt selbst gemachtes Bier in den Mainstream-Markt. Aber mal ehrlich: Craft Beer ist weder besonders kreativ noch hochwertig. Es ist, viel einfacher, ein normales Bier, bei dem mehr Wert auf das Produkt gelegt wird als auf die Marketingkampagne drumherum.
Bierbrauen ist kein Hexenwerk
Die Herstellung von Bier ist ein Handwerk. Will sagen: Gegen ein gutes Bier eines persönlich engagierten Brauers wird das Bier einer Großbrauerei immer langweilig schmecken. Dabei sind auch in einem Craft Beer keine wilden Zusätze versteckt – zumindest nicht in einem gut gemachten.
Mango-Geschmack?
Selbst wenn ein Craft Beer nach Kakao oder Mango schmeckt, sind diese Substanzen gar nicht drin. Das Aroma entsteht ausschließlich durch hochwertige Aromahopfen (große Braukonzerne verwenden günstigere und weniger aromatische Bitterhopfen oder gleich Hopfenextrakt), die innerhalb des Brauprozesses diese Aromen entwickeln. Kein Braumeister wirft eine Mango in das Gärfass.
Hauptsache es schmeckt
Der Geschmack des Bieres entsteht beim Läutern. Die Menge der Nachgüsse verändert die Konzentration der Stärkeabbauprodukte und des Malzzuckers, was wiederum die Würze beeinflusst.
Craft Beer kann innovativ sein. Frage ist nur: benötigt man dazu wirklich Leute, die sich Bier-Sommelier nennen? Braucht man Läden, die Bier in teuren Innenstadtlagen präsentieren? Muss man sich moralisch überlegen fühlen, wenn man über Bier fachsimpeln kann wie andere Leute über Wein? Oder ist es nicht eigentlich völlig egal, wie Bier im Abgang schmeckt? Hauptsache, es schmeckt dem Trinker. Craft Beer erweitert den Markt um ein paar Geschmacksrichtungen. Das ist gut. Aber eben auch nicht die Rettung des Bieres.
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