Der Weg in die Berge des Kaukasus ist steil und steinig. Er führt uns an Chiaturi vorbei, einer hügeligen Stadt in der nordwestlichen Provinz Imereti, die Anfang des letzten Jahrhunderts eines der wichtigsten Bergbauzentren für Manganerz war. Museumreife Bergbahnen und stillgelegte Gehöfte zeugen von ihrem Verfall. Es ist eine Zeitreise in die Vergangenheit. Und in die Zukunft zugleich.
Die 8000 Jahre alte Qvevri-Kultur ist plötzlich wieder aktuell. Die biodynamische Winzerszene interessiert sich für die großen Tonamphoren, die heute noch wie früher in Handarbeit hergestellt werden.
Georgische Qvevris rücken in den Fokus der Weinszene
Denn hier oben in dem kleinen Bergdorf Tkemlovana, nur über schwer passierbare Schotterstraßen mit großen Schlaglöchern erreichbar, liegt ein ganz besonderer Handwerksbetrieb, für den sich immer mehr Winzer und Weinhändler aus der ganzen Welt interessieren: In der Werkstatt von Gogi Chinchaladze entstehen wunderschöne riesige Tonamphoren für Naturweine. Auf Georgisch heißen sie Qvevris. Sie sind aus Lehm gebrannt und haben die Form überdimensionierter Zitronen. Nach ihrer Fertigstellung werden Qvevris in den Boden eingelassen, wo kühle Temperaturen für das optimale Klima im Vergärungsprozess sorgen.
8000 Jahre alte Handwerkskunst
Hinter einem klapprigen Holztor entdecken wir ein Paradies. Die Gebäude wirken wie die Filmkulisse aus einem anderen Jahrhundert. Die große Werkstatt ist ein Bretterverschlag, durch dessen Ritzen Sonnenlicht dringt. Überall stehen oder liegen fertige Amphoren, die auf ihren Transport warten. Gogi Chinchalaldzes Auftragsbücher sind voll. Wer einen seiner begehrten Qvevris haben möchte, muss mit drei Monaten Wartezeit rechnen. Die Handwerkskunst wird von Generation zu Generation weitergegeben. In Qvevris vergären Trauben mit Schale, Kernen und Stil und reifen dort ohne Zusätze über einen Zeitraum von drei Monaten und länger. Der Wein, der dabei entsteht, gilt als archetypisch, körperreich und ausdrucksstark.
Über Timing und Saison entscheidet das Klima
Gogi Chinchaladze beugt sich über eine halbfertige Qvevri und drückt mit geübten Fingern Ton auf den Rand. „Ein Gefäß wird wie ein Haus gebaut“, erklärt er. „Ich kann nur eine Handbreit frischen Ton aufbringen, der danach durchtrocknen muss.“ Das ist wichtig, damit die Stabilität des Materials nicht leidet. Ring für Ring und ohne Zentimetermaß, dafür aber mit ganz viel Gefühl entsteht ein gewaltiges Gefäß, das ein Fassungsvermögen von 1000 bis 2000 Litern haben kann. Wie viele Tage Gogi dafür braucht, entscheidet das Klima: Ist es feucht, dauert es länger als bei trockener Witterung. Einer der Gründe, warum die Produktion nur zwischen Mai und Oktober stattfinden kann: In den Wintermonaten ist es zu feucht für die Verarbeitung des natürlichen Materials.
Schon die Jüngsten packen mit an
Georgischer Ton gehört zu den feinporigsten der Welt. Gogi holt ihn mit einem Lastwagen aus der umliegenden Umgebung. Er wird mit Sand und Wasser gemischt und zu einer homogenen Masse verarbeitet, die nicht zu trocken und zu nass sein darf.
Die fertigen Gefäße werden in einen gigantischen Kamin geschoben, der mit Steinen zugemauert wird. Bis zu sechs Qvevris können gleichzeitig gebrannt werden. Der Brennprozess beginnt bei kleiner Hitze. Sukzessive schieben zwei Mitarbeiter Holz nach, bis der Ofen langsam eine Temperatur von 1100 Grad erreicht hat. Die Kunst besteht darin, möglichst stabile, aber auch dünnwandige Gefäße herzustellen. Direkt nach dem Brennen wird die Innenwand mit Bienenwachs versiegelt, um die Poren zu schließen.
Ein magischer Ort, wo Reichtum eine eigene Währung hat
An die 100 Gefäße schafft Gogi Chinchaladze während der sechsmonatigen Produktionszeit. Für ein 1000 Liter-Qvevri bekommt er 1000 Lari, für ein 2000 Litergefäß das doppelte. Würde er seinen archaischen Produktionsbetrieb modernisieren, könnte er locker ein Vielfaches verdienen. Doch um Geld geht es ihm wie so vielen Georgiern nicht. Die Produktion von Qvevris ist Gemeinschaftsarbeit, während der heißen Phase können die Männer keinen Tag Pause machen. Das schweißt zusammen. Wir spüren die Herzlichkeit, als wir eingeladen werden, an einem langen Tisch Platz zu nehmen und mitzuessen und zu trinken. Köstliche frische Dinge direkt aus dem Garten und ein Weinglas, das immer voll ist, zeugen davon, dass sich reich zu fühlen nichts mit Geld zu tun hat. Das ist georgische Lebensart.
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