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DER HOF GASSWIES IM SCHWARZWALD IST EIN PARADIES FÜR KÜHE.

HIER IST DAS VIEH GLÜCKLICH UND DIE MILCH GESUND. WIE MACHEN DIE LANDWIRTE SILVIA UND ALFRED RUTSCHMANN DAS BLOSS?

Hörner sind individuell wie ein Fingerabdruck

Manchmal arbeiten sich

die Hörner aus dem Kopf, schwungvoll in Richtung Himmel wachsend, um dann doch zur Schnauze abzubiegen. Andere sind abgebrochen. Wieder andere merkwürdig verdreht. Alle sind individuell wie ein Fingerabdruck, unterschiedlich wie Gesichter. Aber vor allem: Die Hörner sind da.

Silvia und Alfred Rutschmann

Alfred Rutschmann

Alfred Rutschmann, genannt Fred, zweiter Bassbariton im Männerchor Rechberg und Landwirt aus Leidenschaft, sagt: „Fragt man Kinder, was ihnen zu einer Kuh einfällt, antworten sie: Die fressen Gras, haben Hörner und Kälbchen und stehen auf der Weide.“ Er zählt mit den Fingern. Eins, zwei, drei, vier. Mehr brauche es nicht, sagt er und nickt wie zu sich selber. Im Stall hinter ihm muhen die Milchkühe. Die Tiere wissen, was kommt. Es herrscht Bewegung. Es ist kurz vor sieben, in wenigen Minuten wird gemolken. Die kindliche Vorstellung hat wenig mit der Realität zu tun: In Wirklichkeit nämlich besitzen die allermeisten Tiere keine Hörner, stehen meist im Stall, bekommen Kraftfutter und ihre Kälber werden einen Tag nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und mit Milchaustauscher gefüttert – weil es ohne Kälber keine Milch gibt, die Jungtiere aber Nahrungskonkurrenten menschlicher Milchtrinker sind. Normalerweise.

Auf ihrem Hof, dem Hof Gasswies in Klettgau-Rechberg, muss sich das System an die Tiere anpassen, nicht umgekehrt.

„Bei uns ist das anders“,

sagt Rutschmann. Auf ihrem Hof, dem Hof Gasswies in Klettgau-Rechberg, müsse sich das System an die Tiere anpassen, nicht umgekehrt. Zusammen mit seiner Frau Silvia, einer Landschaftsarchitektin, führt er den Biolandbetrieb im südlichsten Südschwarzwald zwei Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt.

Das Horn ist durchblutet und mit Stirn- und Nasenhöhle verbunden.

Gerät in der konventionellen Landwirtschaft in Vergessenheit:

Das Horn ist durchblutet und mit Stirn- und Nasenhöhle verbunden.

Die Haltung auf Hof Gasswies orientiert sich an der Natur

Die Haltung auf Hof Gasswies orientiert sich an der Natur

Seit über zehn Jahren arbeiten die Rutschmanns mit der sogenannten muttergebundenen Kälberhaltung: Das Kalb darf nach der Geburt bei der Mutter bleiben und deren Milch trinken – zuerst eine Woche durchgehend, dann weitere drei Monate zumindest zeitweise. Im Stall gibt es keine festen Boxen, Mütter und Kälber sind zwar durch ein Gatter getrennt, das wird allerdings mehrmals am Tag hochgezogen. Selbst wenn es geschlossen ist, können die Tiere sich immer sehen, beschnuppern, ablecken und schmusen. Zwar werden die Kühe in dieser Zeit auch gemolken, allerdings nicht vollständig, für die Kälber bleibt mehr als genug übrig. Danach kommen die Jungtiere zu Ammenkühen auf die Weide, wo sie zwar weiterhin Milch trinken können, aber auch bereits Gras fressen.

Die Haltung der Tiere orientiert sich auf dem Hof der Rutschmanns am natürlichen Verhalten von Kuh und Kalb.

Die Haltung der Tiere orientiert sich auf dem Hof der Rutschmanns am natürlichen Verhalten von Kuh und Kalb.

Auch bei der Zucht: Künstliche Besamung gibt es hier nicht, für Nachwuchs sorgt der Stier. Im Gegensatz zu konventionellen Betrieben kommen die Jungtiere auf Hof Gasswies ausschließlich im Frühjahr zur Welt, als wenn die Rinder sich selbst überlassen wären. Im Winter werden die trächtigen Kühe dann trocken gestellt. Kurz vor der Geburt geben sie kaum mehr Milch und bekommen eine Pause vom Melken.

Eigentlich sind Kühe reine Grassfresser. Auf Hof Gasswies eine Selbstverständlichkeit.

Die Kühe haben Namen, die zu ihrem Charakter passen.

Die Kühe haben Namen, die zu ihrem Charakter passen.

Mit ihrer Art der Haltung bewegen sich die Rutschmanns in einer rechtlichen Grauzone. Gesetzliche Grundlage jeder Milchwirtschaft ist das Milch- und Fettgesetz, Abschnitt 1, Reichsgesetzblatt, 15. Mai 1931: „Milch ist das durch regelmäßiges, vollständiges Ausmelken des Euters gewonnene und gründlich durchmischte Gemelk von einer oder mehreren Kühen aus einer oder mehreren Melkzeiten, dem nichts zugesetzt und nichts entzogen ist.“ Weil die Euter auf Hof Gasswies aber weder regelmäßig noch vollständig ausgemolken werden, gilt die Milch offiziell nicht als Milch. Aber wie das so ist in Grauzonen: Niemand kontrolliert, niemand setzt es durch.

Das gesamte Milchwirtschaftssystem ist darauf angelegt, dass immer mehr produziert wird.

Für den Betrieb

bedeuten saisonaler Melkverzicht und muttergebundene Kälberhaltung zwar, dass die Kühe im Winter kein Kraftfutter benötigen, ökonomisch ist das aber ein Problem. Denn das gesamte Milchwirtschaftssystem ist darauf angelegt, dass immer mehr produziert wird. Gibt man den Kühen dagegen mehr Zeit (für ihren Nachwuchs), mehr Platz (für die Hörner) und ein längeres Leben (damit ihre Körper nicht ausgebeutet werden), fällt weniger Milch an. Zum Vergleich: Eine Kuh auf Hof Gasswies produziert rund 3.500 Liter Milch im Jahr, eine hochgezüchtete Turbo-Kuh schafft leicht 10.000 Liter. Dass bei dieser Wirtschaftsweise das Ökosystem belastet wird, spiegelt sich nicht in den Milchpreisen wider. Alfred Rutschmann sagt: „Wir haben uns entschieden, in Biodiversität zu investieren anstatt in ökonomisches Wachstum."

In konventionellen Betrieben sind die Geburten über das ganze Jahr verteilt.

In konventionellen Betrieben

sind die Geburten über das ganze Jahr verteilt. Die Herde muss zwölf Monate lang Milchhöchstleistungen erbringen. Damit das gelingt, muss das Gras mehrmals jährlich vor der Blüte geschnitten werden – nur dann hat es einen hohen Eiweißgehalt. Tut man dies, kommen keine Insekten. Wenn die Kälber bei den Rutschmanns im Frühsommer auf die Welt kommen, ist automatisch das beste Gras vorhanden, wenn die Kuh es benötigt. Es muss nicht ständig gemäht werden, weil die Kühe nur fressen, was sie benötigen. Das Gras kann blühen und das bedeutet: mehr Insekten, mehr Singvögel, weniger Schädlinge auf den zu Hof Gasswies gehörenden Obstplantagen.

Auf Hof Gasswies tragen alle 44 Milchkühe einen Namen und haben einen Charakter.

Obwohl die Rutschmanns also nichts anderes tun, als sich einfach an der Natur zu orientieren,

haben sie für ihre Hofhaltung mehrere Innovationspreise erhalten. „Daran erkennt man, dass die moderne Landwirtschaft den Bezug zur Natur völlig verloren hat“, sagt Alfred Rutschmann, bevor er in den Melkstand geht. Dort wartet Elli, sie ist viereinhalb Jahre alt, 800 Kilo schwer, Simmentaler Fleckvieh und damit eine sogenannte Zweinutzungsrasse, die einerseits Milch gibt, andererseits aber auch Fleisch aufbaut. Auf Hof Gasswies tragen alle 44 Milchkühe einen Namen und haben einen Charakter. Julia, die Zähe, 14 Jahre alt. Marianne, die Eigensinnige, acht Jahre alt. Regina, die Schreckhafte, sieben Jahre alt. Coco, die Lässige, drei Jahre alt. Und eben Elli. Die Nette.

Entspannte Kühe, entspannte Halter

Entspannte Kühe, entspannte Halter

„Kühe und Kälber sind bei uns deutlich entspannter“, sagt Silvia Rutschmann. Sie können ihr Sozialverhalten ausleben. Dadurch sind sie weniger gestresst und seltener krank. Die Kosten für den Tierarzt haben sich deutlich verringert und auch über die Zusatzernährung der Kälber müsse man sich keine Gedanken mehr machen: Die Milch auf Rutschmanns Hof hat garantiert den richtigen Nährstoffgehalt und wird mit einer Temperatur gereicht, die die Kälber vertragen. In diesem Moment scheppert es aus dem Stall. Silvia Rutschmann kennt das Geräusch. Die Kühe versuchen, das Gatter zur Weide zu öffnen. Mit dem Brot noch in der Hand geht Silvia Rutschmann in den Stall. Das Scharnier ist bereits halb geöffnet. Wie ein Verkehrspolizist rudert sie mit den Armen. Die Kühe weichen ein paar Schritte zurück. Und kommen dann nach ein paar Sekunden zum Schmusen wieder.

Zwischen dem Melken ist Entspannen angesagt.

ZWISCHEN DEM MELKEN IST ENTSPANNEN ANGESAGT. DAZU GEHÖRT AUCH EIN BAD IM HEU.

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