PHILIPP KOHLHÖFER HAT MIT ACHT FREUNDEN EINEN OCHSEN GEKAUFT UND SEINE AUFZUCHT BEGLEITET. AM ENDE HABEN SIE DAS TIER GEMEINSAM AUFGEGESSEN.
Cowboys & Wikinger
Alle trugen einen Cowboyhut. Ich hatte einen Helm mit Hörnern. Alle hatten Spielzeugpistolen, ich hatte ein Knochenbeil. Die Hörner stanken ein wenig, sie waren einer Kuh vom Kopf gesägt worden. Ich war damals elf Jahre alt und rückblickend betrachtet hatte ich das lässigste Faschingskostüm aller Zeiten. Mein Opa Otto war Metzger, hatte vier Filialen, 45 Schweine in der Woche geschlachtet, mehrere Stück Großvieh. Rückblickend könnte man wohl sagen, dass es absehbar war, dass ich mir irgendwann eine Kuh kaufen würde. Oder genauer: einen Ochsen.
45 Kilo Fleisch
Der Wäschekorb war zu klein. Der Ochse brachte 45 Kilo Fleisch – für jeden. Wir waren zu acht. Shareholder, die zusammen investiert hatten, jeder 250 Euro, mit einem einzigen Ziel: das Unternehmen Tier zu liquidieren. Wir garantierten die Abnahme des Tieres, der Landwirt die Ökologie. Der Bauer hatte zudem Planungssicherheit, wir hervorragendes Fleisch, das Tier ein gutes Leben. Jeder bekam ein Achtel von allem: Filet, klar, aber eben auch Schwanz, Bäckchen, Nacken, Schulter, Querrippe, selbst Knochen, was ebenso dran ist an einem Tier.
Wo ist das Blut?
Ich habe es gerne respektvoll. Ich finde es respektlos, Fleisch im Supermarkt so präsentiert zu bekommen, als wäre es in einer Fabrik für Mikroelektronik hergestellt worden: kein Blut, kein Knorpel, keine Verbindung mehr zwischen Steak und Tier. 500 Gramm Hack für 1,49 Euro ist einfach unanständig. Abgesehen davon: Ein Tier besteht eben nicht nur aus Brustfleisch oder Roastbeef. Und ich will nicht, dass der Rest nach Afrika wegsubventioniert wird, wo das Fleisch dann so billig ist, dass es lokale Märkte zerstört.
Fleisch macht kreativ
Außerdem schmeckt es besser, dass es geradezu fahrlässig wäre, kein gutes Fleisch zu essen. Fleisch, das in der Pfanne genau so groß bleibt, wie es auf dem Arbeitsblock ist, weil es eben nicht durch Wassereinlagerung 200 Prozent größer wurde. Wenn das Fleisch gut ist, braucht auch kein Mensch eine Marinade. Außerdem macht der Kauf eines Rindfleischpakets kreativ. Wer wüsste als Normalesser schon, was man aus Kamm (Schmorbraten) oder Vorder- und Hinterhesse (Gulasch) machen kann?
Ein Tier ist wie ein gutes Album
Als der überladene Wäschekorb im Kofferraum verstaut war, die Ochsenteile in Gefrierbeutel verpackt, die Hände voller Blut, war mein erster Gedanke: Damit kann ich nichts anfangen. Der zweite: Was macht man bloß mit dem ganzen Fleisch? Schulterblatt? Rinderkugel? Das waren Teile des Rinds, die ich noch nie gesehen oder gegessen, geschweige denn zubereitet hatte. Es ging dann aber doch. Am Ende ist es mit einem geschlachteten Tier ähnlich wie mit einem Album: Zwischen den Hits steckt meistens noch gute Musik, man muss sich nur darauf einlassen.
Keine Namen, bitte
Wir sind immer gemeinsam zum Landwirt an die Nordsee gefahren, meine Tochter und ich. Wir haben den Ochsen gesehen, wir haben mit ihm geredet, einen Namen haben wir ihm nicht gegeben. Meiner Tochter war immer völlig klar, was mit ihm passiert. Wir waren später zusammen beim Schlachter, wir haben das Fleisch in den Kofferraum gewuchtet und dabei über Ernährung geredet. Und vielleicht liegt es auch daran, dass sie nie mit Essen spielt. Ich rede mir das zumindest ein.
Schlachtfest
Seien wir mal ehrlich: Eigentlich ist die Idee des Fleischteilens weder neu noch Punk. Frühmenschen jagten schon vor fast zwei Millionen Jahren zusammen Wasserböcke, die Neandertaler später Mammuts, noch später gab es in jedem Dorf gemeinsame Schlachttage. Und ich fahre jetzt eben mit ein paar Leuten an die Nordsee. Vielleicht sollte ich die Tochter fragen, ob sie nicht doch mal als Wikinger gehen will. Ein Knochenbeil ist ja wieder im Haus.
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