Matthias Kaiser formt aus steirischer Erde Krüge, Schalen und Skulpturen, deren ästhetische Vorbilder aus Japan stammen.
Herr Kaiser, Ihre Arbeiten werden weltweit geschätzt. Was hat Sie beeinflusst?
Ich bin in Graz aufgewachsen, einer mittelgroßen Stadt in Österreich. Meine Eltern waren Biologen und mit uns ständig in der Natur. Wir hatten das Haus voller Tiere – darunter auch Kröten und eine Fledermaus. Die enge Beziehung zur Natur, diese Wahrnehmung von Einheiten und Strukturen, haben mich geprägt. Früher habe ich das nicht bewusst empfunden, das war intuitiv. Aber alles, was man früh lernt, schult Geist und Sinne.
Damals haben Sie sich auch schon mit einem anderen Ton beschäftigt. Sie waren Jazzmusiker…
Die Musik war ein neues Reizfeld, das ich durch Freunde am Gymnasium kennengelernt hatte. Ich hatte wahnsinnige Probleme in der Schule. Ich habe weder Abitur noch eine abgeschlossene Lehre oder einen Studienabschluss. Mir war dieses Offizielle immer zuwider, einen offiziellen Segen brauchte ich nie. Es ging mir um Inhalte, direkte Erfahrungen, eigenes Erleben. Ich habe mir das geholt, was ich brauchte, bis zu dem Punkt, dass ich der Meinung war, das genügt jetzt. Ohne einen Gedanken an Konsequenzen oder eine Karriereplanung zu verschwenden, bin ich weitergezogen und habe mir neue Dinge angeeignet.
Was hat Sie nach New York geführt? Musik- oder Erdtöne?
Ich ging nach New York, um Saxofon zu spielen, verwendete aber auch den anderen Ton, um Schwalbennester für mein Zimmer zu formen, denn ich hatte das Bedürfnis, etwas Natürliches, Vertrautes in meine Wohnsituation zu integrieren. Das war mein erster Kontakt mit Keramik. Ich baute Nester, so wie Schwalben Tonklumpen mit Speichel zusammenfügen, und hängte sie als heimatliche Intervention an die Decke. Kurze Zeit später habe ich einen Keramikstand auf einem Künstlermarkt entdeckt. Besonders fasziniert hat mich ein Porzellan mit einem Schwammmuster aus gesprenkeltem Kobaltblau. Das war Auslöser für einen Keramikkurs, den ich mir durch diverse Jobs in Restaurants verdient habe. Die Arbeit mit Keramik ging mir leicht von der Hand. Aus Geschick und lustvoller Freude wurde immer mehr. In der Parsons School of Design in New York habe ich einen Studiengang für Keramik belegt. Ich war oft der Letzte, der die Werkstatt verließ. Das Saxofonspiel trat nach und nach in den Hintergrund. Es war ein fließender Übergang vom „harmolodischen“ Jazz zur Töpferscheibe.
Wie ist Ihnen der Sprung nach Asien gelungen?
Mich haben während des Studiums besonders Objekte aus Asien interessiert. Ich las alles, was ich darüber in Erfahrung bringen konnte. Ich war mit einer Japanerin zusammen, die mir den Kontakt zu einem japanischen Meister vermittelte. Das halbe Jahr vor meiner Abreise habe ich genutzt, um mir die Sprache anzueignen und so viel wie möglich über die japanische Lebensart zu lernen. Wenn ich etwas mache, dann intensiv und voller Enthusiasmus.
Was ist der größte Unterschied zwischen westlicher und japanischer Technik?
Anfangs war mir rätselhaft, was meine japanischen Lehrer an erdfarbenen, asymmetrischen, sogar fehlerhaften Dingen attraktiv fanden. Aber schließlich sah ich, dass es ihnen nicht um die Verherrlichung von Glanz, sondern um Geschichten geht. Ablesbare Spuren der Herstellung vermitteln mehr vom Geist des Töpfers und der Natur der Materialien. Zeichen der Benutzung, selbst Beschädigungen, fügen einen narrativen Aspekt hinzu. Es geht also nicht in erster Linie um Technik, sondern um die Abbildung von Charakter in Relation zu Materie und Zeit. Diese Ästhetik hat ihre Wurzeln zweifellos im Shintoismus, dem Glauben an eine beseelte Natur.
Das Unregelmäßige wird besonders geschätzt?
Ein Betrachter aus dem Westen assoziiert dabei wahrscheinlich zuerst einmal stümperhaftes Handwerk. Das ist aber ein Trugschluss, denn es geht um die tiefstmögliche Verinnerlichung des Technischen bis zu dem Punkt, an dem eine Demonstration von Können überflüssig wird. Das ist wirklich ein langer Weg. Man sagt, dass man das Alter des Töpfers an seinen Teeschalen (Chawan) ablesen kann. Diese Schalen sollen den Menschen widerspiegeln, der ja auch nicht perfekt ist, aber die Reife erlangt hat, dies auch nicht mehr vortäuschen zu wollen. Authentizität zieht sich durch den gesamten Herstellungsprozess. Es werden aussagekräftige Materialen verwendet. Die Beschaffenheit des ungereinigten Tons, der auch Stoffe wie Eisenerz, Sand und Quarz enthalten kann, gibt der Schale die zusätzliche Dimension des Tsuchi-aji, des Geschmacks des Tons. Es ist ein respektvoller Umgang mit den Grundstoffen, der es dem Künstler erlaubt, sich zurückzunehmen und in einen Dialog mit seinen Ressourcen zu treten.
Wodurch lassen Sie sich inspirieren?
Ich empfinde Kreativität als eine Art Reservoir, über Jahrzehnte gefüllt, in dem sich Altes und Neues vermischen und in das man tauchen kann, um Ideen herauszuholen. Ich war immer auf der Suche nach direkten und authentischen Erfahrungen. Alles fließt ein, Visuelles, Spirituelles und auch vieles, was nicht so lustig ist. Es hilft, wenn man offen und aufmerksam ist. Vielleicht ist der Blick dafür durch meine Naturerfahrungen geschärft worden. Ich habe mich aber auch immer wieder Situationen ausgesetzt, die mich erschüttert haben. Man ist verletzlich, wenn man in anderen Ländern lebt und arbeitet, ohne zunächst die Sprache zu verstehen. Dadurch entstehen Sensibilisierungen und Wunden, durch die man einerseits Sicherheit verliert, aber andererseits bereichernde Erfahrungen eindringen können.
Inzwischen können Sie sehr gut von Ihrer Kunst leben. Was bedeutet Geld für Sie?
Zum Glück habe ich kein Problem damit, mich von Stücken zu trennen. Ich sehe jede Arbeit als Stufe zu einer noch besseren Arbeit. Der Verkauf schafft Raum für Entwicklung. Andererseits kann finanzieller Erfolg auch dazu verleiten, in eine kommerzielle Richtung zu gehen. Ich versuche, das zu vermeiden. Wenn ich das Gefühl habe, nicht ausreichend kreativ gefordert zu sein, weil viele Kunden immer wieder ähnliche Stücke nachfragen, dann erfinde ich Projekte wie The Loyal Exports. Bei diesem Projekt, das ich einmal jährlich durchführe, verkaufe ich spannende neue Arbeiten für ein Euro pro Stück auf lokalen Marktplätzen in Indien oder Afrika.
Zu Ihren erfolgreichsten Produkten gehören Chawan. Was trinkt man daraus?
„Chawan“ bedeutet „Teeschale“. Gemeint ist eine Schale für Matcha, pulverisierten grünen Tee, wie er bei Teezeremonien oder auch im Alltag in Japan und Korea getrunken wird. Die Schalen haben eher die Größe von Müslischalen, denn der Tee wird darin mit einem Teebesen aus Bambus zubereitet. Allerdings haben diese Gefäße eine tiefe kulturelle Bedeutung und können ohne Weiteres als gelebte Skulpturen verstanden werden. Interessant ist die Verfeinerung, die jedem Aspekt der Formgebung und Oberflächengestaltung zugrunde liegt. Diese Attribute können nicht gefälscht oder vorgetäuscht werden. Sie entstehen als Improvisation und können, genau so wie Musik, nicht zurückgerufen oder ausgebessert werden. Das ist die Herausforderung. Meine Chawan sind immer noch Anfängerstücke.
Haben Sie eine Lieblingstasse?
Ich verwende gern Keramik befreundeter Künstler oder auch Antiquitäten, seltener meine eigenen Werke. Da fallen mir oft nur die Unzulänglichkeiten ins Auge. Seltsam, denn ich liebe eigentlich Mängel, so wie bei meiner Lieblingsschale, die ich in einem Basar in Mumbai gekauft habe. Obwohl sie aus einer Fabrik stammt, ist sie so fehlerhaft, dass sie eine liebenswürdige Persönlichkeit hat.
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