The Ingredient

MITTEN IN SOUTH CENTRAL LOS ANGELES NUTZT EIN T-SHIRT-DESIGNER DEN PARKSTREIFEN VOR SEINEM HAUS, UM GEMÜSE ANZUBAUEN, DAS MINDESTENS SEIN VIERTEL RETTEN SOLL.

Gemüse als Rettung

Gemüse als Rettung

Am Dienstag kommt Ron Finley aus Schweden, wo er darüber geredet hat, dass Kohl möglicherweise die Rettung ist, und am Donnerstag muss er einen Verkaufsstand für Pfirsiche bauen, den er am Samstag benutzen will, weswegen er am Mittwoch schnell noch Freundschaft schließen muss mit einer Nachbarin zwei Blocks weiter, die ihm Material dafür leihen soll. Am Freitag ist seine Motivation daher gering, vor seinem Haus von einem Rastafrisurträger mit Skateboard in eine Diskussion über den Sinn seiner Arbeit verwickelt zu werden. Er sagt: „Yo man, fuck off.“

Ron Finley baut Obst und Gemüse an. Er betreibt Urban Gardening mitten in South Central Los Angeles.

Selbsterkenntnis

Selbsterkenntnis

Er sagt, wenn Leute etwas wissen wollen, dann erkläre er es ihnen gerne, aber er missioniere nicht. „Jeder“, sagt er, „muss selber darauf kommen.“ Darauf kommen, dass Obst und Gemüse gesund sind. Vor seinem Haus auf dem Parkstreifen, der eigentlich der Stadt gehört, wachsen Bananen und Feigen, Zitronen und Tomaten, Mangold, ein paar Blumen. Zwei Komposthaufen hat er angelegt, eine Sitzgelegenheit aus Baumstämmen gebaut, die von einem Rondell aus Zweigen umschlossen und mit Kräutern bewachsen ist.

Das Ron Finley Projekt

Das Ron Finley Projekt

Nebenan brennt die Sonne, aber Rons Garten liegt im Schatten. „Ich baue gar kein Gemüse an“, sagt Finley. Er pflückt einen Pfirsich. „Was bei mir wächst, ist Hoffnung.“ Er hat das Projekt unbescheiden nach sich selbst benannt: Ron Finley Project (RFP). Das RFP ist eine Non-Profit-Organisation und will die Welt retten, mindestens, durch den Anbau von Gemüse. Finley sagt: „Wenn du etwas ändern willst, musst du den Boden ändern.“

Gangster denken mit

Ein doppeldeutiger Satz, es ist nicht ganz klar, was er meint, aber das ist Absicht. Der Boden, auf dem das Gemüse wächst, oder der Boden der Gesellschaft? Und ist das eine vielleicht nur zu ändern, wenn man das andere ändert, zumindest in South L.A.? Finley will beides verbinden. Er nennt sich Gangster Gardener. Auf seinem T-Shirt steht: „Plant some shit.“ Gangster sein, sagt er, bedeute eben nicht, dass man kleinkriminellen Mist mache, Supermärkte überfalle, mit Drogen deale oder gar Menschen töte. Gangster denken mit.

Zehn Zentimeter Narbe

Und dann fährt Ashleigh vor. Sie regelt seine Presseangelegenheiten und organisiert Stände, auf denen Finley den Jugendlichen des Viertels zeigt, was das überhaupt ist: eine Tomate. Ashleigh hat eine zehn Zentimeter lange Narbe am Hals. Stichverletzung. „Knast“, sagt sie und winkt ab, sie hat es überlebt. Und dann wechselt sie das Thema: „Sehen die Melonen hinterm Haus nicht schön aus?“ Gardening, ergänzt Ron, sei das Therapeutischste, was man überhaupt machen könne. Schließlich gebe man den Jugendlichen einen Wert, Selbstwertgefühl.

Gemüse wird Gangster

Gemüse wird Gangster

Und wenn Gemüseanbau erst mal Gangster ist, erst mal cool, dann soll sich mittelfristig nicht nur die Sozialstruktur des Viertels ändern, das ist zumindest Finleys Plan, sondern in der Folge auch der Rest. Er sagt: „Wovon ich rede, ist Folgendes: für Menschen Arbeit zu bekommen und Kids weg von der Straße.“ Finley glaubt, dass auch die Mikroökonomie im Viertel sich ändern würde, wenn sich die Menschen gesünder ernährten. "Fast-Food-Läden", sagt Finley, „sind ja in keiner Weise nachhaltig.“

Grüne Kunst

Grüne Kunst

Die ganze Sache begann 2010. Ron bepflanzte den Parkstreifen. Der ist zwar im Besitz der Stadt, die Anwohner müssen ihn aber pflegen. Er überlegte: Was will ich am liebsten essen? Was könnten die Nachbarn mögen? Ron war von Beginn an klar, dass er alles bepflanzen will und am Ende zu viel Obst für sich selber hätte. Der Plan war immer, die Nachbarn einzubeziehen. Gemüse anzubauen ist für ihn nicht nur gesund, es ist seine Form der Kunst.

Platz für 725 Millionen Tomatenpflanzen

Mit Erde zu arbeiten, sagt Ron, sei deswegen so befriedigend, weil Menschen schließlich selber zu Erde würden am Ende. Aber vorher – er sieht die Straße runter – gebe es noch einiges zu tun. Bisher ist sein Parkway der einzige, der bepflanzt ist. „Gibt noch viel zu tun“, sagt er. Allein die Stadt Los Angeles besitzt 42 Quadratkilometer an öffentlichem Land, teils auf kleinsten Parzellen. Eine Fläche, die etwa 15-mal so groß ist wie der Central Park in New York. Finley nickt wissend. Er sagt: „Platz für 725 Millionen Tomatenpflanzen.“

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